Das Leben als Schrift

Walter Benjamins Brecht-„Studien“ in Svendborg

Dienstag, 27. November 2012 – 15:00

tfm | Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft – Schreyvogelsaal, Hofburg, Batthyanystiege, A – 1010 Wien

Vortrag von Nikolaus Müller-Schöll
Nikolaus Müller-Schöll ist Professor für Theaterwissenschaft am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Walter Benjamins Aufsatz „Der destruktive Charakter “ wurde in der Vergangenheit in erster Linie als Charakteristik Gustav Glücks, des Direktors der Auslandsabteilung der Reichskreditgesellschaft in Berlin gelesen. Bei genauerem Hinsehen stößt man allerdings schnell darauf, dass der Text nicht minder wahrscheinlich einen „Porträtabriß“ Bertolt Brechts darstellt: eine Vielzahl an Charakterisierungen, wie entnommen aus Brechts fragmentarischer Theorie des „epischen Theaters“, und eine Notiz aus Brechts Exil im dänischen Svendborg, dass dessen „destruktiver Charakter (…) das kaum Erreichte wieder in Frage stelle“. Benjamins Darstellungsweise Brechts greift dessen Theorie, wie Benjamin sie verstand, auf und überträgt sie in die Technik der Charakterskizze oder allgemeiner gesagt: der Biographie. Die untergründige Frage von Benjamins Notizen könnte lauten: Was heißt es, über das Leben eines Theaterautors zu schreiben, dessen zentrales Anliegen es war, an die Stelle des neuzeitlichen Individuums, des „Charakters“ bzw. des „Subjekts“ ein „Dividuum“ zu setzen, den Menschen als ein Bündel von Verhaltensweisen, bzw. als „Schauplatz“ einander widerstreitender Tendenzen?